Brexit: Dann geht doch…

Nun ist es also endlich passiert. Gestern war die Abstimmung in Großbritannien, ob das Land in der EU bleiben soll oder nicht. Schon länger gab es in GB eine größere Unzufriedenheit mit der EU und James Cameron hat 2013 das Referendum ins Spiel gebracht, um die EU-Kritiker in seiner eigenen Partei ruhigzustellen. Damit wurde aber ein Stein ins Rollen gebracht, der nicht mehr aufgehalten werden konnte. Die letzten Tage und Wochen waren geprägt vom Wahlkampf und die Brexit-Befürworter konnten wohl über 1,2 Millionen Stimmen mehr holen als die Gegner. Das Ergebnis ist also mit 51,89 zu 48,11 % nicht unbedingt deutlich. Umfragen zufolge hatten die Brexitgegner noch vorne gelegen. Allerdings war schon vorher klar, dass es sehr knapp ausgehen würde.

Die Wahlbeteiligung war mit 72,21% relativ hoch, für viele Wähler war dieses Thema wahrscheinlich deutlich interessanter als andere Wahlen. In England und Wales haben die Brexit-Befürworter die meisten Regionen gewonnen, in Nordirland und Schottland wurde dagegen größtenteils für einen Verbleib in der EU gestimmt.

Was wird jetzt in Großbritannien passieren?

James Cameron wird wohl im Oktober zurücktreten. Nach dieser Niederlage war er auch nicht mehr tragbar und wird auch nicht gerade positiv bewertet werden. Einen Platz in der Geschichte hat er auf alle Fälle sicher. Ob es auch zu Neuwahlen kommen wird, ist fraglich. Theoretisch kann auch nur ein Parteifreund von Cameron Premierminister werden. Ich bin gespannt, ob sich Boris Johnson melden wird, der sich ja aktiv für einen Brexit eingesetzt hat. Theoretisch müsste es jetzt ja ein Brexit-Befürworter machen. Natürlich wäre es auch möglich gleich Neuwahlen zu machen, da die Parteien vielleicht auf Rückenwind hoffen.

Nachdem Schottland und Nordirland für einen EU-Verbleib gestimmt haben, könnte hier der Ruf nach einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich lauter werden. Zwar war die Abstimmung in Schottland erst vor kurzem, aber eine neue könnte deutlich anders ausfallen. Und vielleicht kommt es doch zu einem vereinigten Irland, wenn sich Nordirland von UK abspalten sollte.

Was wird in der EU passieren?

Zuerst muss Großbritannien ein Austrittsgesuch bei der EU stellen, vorher passiert nichts. Cameron will erst im Oktober zurücktreten, die Verhandlungen mit der EU aber seinem Nachfolger überlassen. Diese 3-4 Monate könnten weiteres Gift für die Wirtschaft sein. Wurde das Austrittsgesuch gestellt, wird der Europäische Rat die Leitlinien für die Verhandlungen festlegen. Dies geschieht natürlich schon ohne Großbritannien. Danach werden die Einzelheiten verhandelt, bevor das Europäische Parlament und die Mehrheit der restlichen EU-Staaten zustimmen muss. Wenn kein Austrittsabkommen zustande kommt, ist trotzdem zwei Jahre nach dem Austrittsgesuch Schluss. Es sei denn der Europäische Rat gewährt eine Fristverlängerung. Bei so einem Austritt wäre GB komplett raus aus der EU und müsste danach alles neu verhandeln.

Die Brexit-Befürworter möchten jetzt schon einige Regelungen aussetzen, zum Beispiel bei der Zuwanderung. Dies ist aber nicht möglich.

Was ist mit der Wirtschaft?

Sowohl in GB als auch in der EU ging es heute mit den Aktienkursen bergab. Die Verluste waren vergleichbar mit der Lehmannkrise 2008. Dafür, dass diese Krise noch nicht überall überwunden ist, kommt die „Brexitkrise“ zu einem schlechten Zeitpunkt. Großbritannien wurde sogar zeitweise von Frankreich als Wirtschaftsmacht überholt. Dies wird nach dem Austritt wohl wieder geschehen, da die Wirtschaftsleistung von GB zurückgehen wird.

Wie geht es nun weiter?

Es gibt nun verschiedene Szenarien. Ein mögliches wären Volksbefragungen in Schottland und Nordirland, um sich doch von Großbritannien abzuspalten. Da in beiden Ländern die Brexit-Gegner in der Überzahl waren und beide in der EU bleiben wollen, wäre eine Unabhängigkeit für sie die beste Lösung. Für Großbritannien bzw. England wäre das schlecht, da wäre es wohl nichts mit dem Traum vom Empire.

Im übrigen Europa jubeln die Rechtspopulisten begeistert und hoffen nun auch in ihren Ländern auf ein Austritt aus der EU. Frankreich, Niederlande, Österreich haben starke rechtspopulistische Parteien, doch ob sie bei einem Referendum die Mehrheit bekommen würden, wage ich zu bezweifeln. Auch Polen, Ungarn oder Tschechien denken über ein Referendum nach. Hier lohnt sich ein Abwarten, denn wenn klar ist, was aus GB geworden ist, kann man sich es selbst auch überlegen.

Ich hätte allerdings auch kaum etwas gegen weitere Austritte, wenn ein Kern übrigbleibt und dieser Kern endlich weiter zusammenwächst. Ein Kern-Europa aus 7-8 Ländern, die eng miteinander verzahnt sind, könnte stärker sein als eine EU aus 28 Staaten. Dann können immer noch nach und nach die anderen Staaten wieder nachziehen.

Dennoch denke ich, dass eine Rückkehr zu Nationalstaaten sinnlos ist. Es hört sich zwar auf den ersten Blick toll an und Schweiz scheint ja auch ein gutes Vorbild zu sein, aber können dies andere Länder auch? Werden Ungarn und Polen neutral wie die Schweiz mit einer direkten Demokratie? Nie und nimmer. Diese Nationalstaaten wären alleine zu schwach und würden in Europa weit zurückfallen. Aber auch wenn es traurig für die Bevölkerung wäre, wäre so ein Negativbeispiel vielleicht auch nicht verkehrt.

Wird Europa nun wieder reformiert werden?

Ich hoffe es. GB wollte zwar auch Reformen, aber dennoch bin ich froh, dass dieses neoliberale Land raus ist. Auch wenn verschiedene Kommentatoren anderen Meinung sind als ich, ist mir ein sozialistisches Frankreich lieber. Und den Gegenpol GB brauchen wir nicht. Vielleicht kommt es jetzt endlich zu einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer. Hier bleibt abzuwarten was Deutschland macht. Nimmt es seine Rolle als Hegemon an und versucht Europa friedlich zu führen? Oder bleibt es kleingeistig und zurückhaltend und schaut dem Treiben weiter zu? Eine stärkere Führung wäre aber hilfreich.

Was ändert sich für Deutschland?

Wir verlieren einen starken Partner in Europa, aber sollten die Chance nutzen, um endlich für ein stärkeres Europa zu werben. Die EU ist nicht sexy, sollte es aber sein. Am Anfang wird es für uns wohl teurer werden, da die fehlenden Zahlungen aus GB aufgefangen werden müssten, dafür könnten vielleicht Reformen durchgeführt werden, die diesen Effekt mildern. Sollte GB seine Grenzen wirklich für Zuwanderer schließen, könnte sich dies im restlichen Europa positiv bemerkbar machen. Wenn zum Beispiel die Polen nicht mehr in GB arbeiten können, gehen sie vielleicht nach Frankreich oder Deutschland.

Mein Fazit:

Eine Weile stand ich dem Brexit skeptisch gegenüber. Mittlerweile denke ich: Dann geht doch.

Ich gehe aber davon aus, dass Großbritannien aus dieser Sache als großer Verlieren herausgehen wird. Im schlimmsten Fall trennen sich Schottland und Nordirland ab, die EU zickt rum und GB erhält nur eingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt. Und wenn dann die Wirtschaft noch tiefer in die Rezession schlittert, werden sie merken, was sie an der EU verloren haben. Das GB als Sieger hervorgehen wird, wage ich zu bezweifeln.

Für die EU ist das eine Chance enger zusammenzuwachsen und sie sollten es nutzen.

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